Parkinson und Kreativität

Bis zu zwanzig Prozent der Parkinsonbetroffenen entdecken bislang unbekannte künstlerische Talente. Es könnte ein Zusammenhang mit der medikamentösen Therapie bestehen.


Jede von Parkinson betroffene Person hat ihren eigenen Parkinson. Die Krankheit lässt so manches aufeinandertreffen, etwa Kreativität und Parkinson, wie es bei einer Untergruppe von bis zu 20 Prozent der Fall ist. Kreativität kann sich in verschiedenen Bereichen zeigen, z. B. im künstlerischen, literarischen, architektonischen oder kulinarischen, und wird von Betroffenen und deren Umfeld häufig geschätzt. Sie zeigt sich durch plötzliches Interesse an oder Verlangen nach einem verstärkten kreativen Schaffen.

Es ist faszinierend, wie Betroffene sich trotz ihrer Schwierigkeiten mit der Motorik oder mit der räumlich-visuellen Verarbeitung künstlerisch betätigen, wo doch diese beiden Fertigkeiten für den künstlerischen Ausdruck unentbehrlich zu sein scheinen. Überraschend ist zudem, festzustellen, dass sich künstlerische Kreativität bei bereits künstlerisch aktiven Betroffenen in einem Stilwechsel und einer erhöhten Produktivität zeigen kann, aber auch bei zuvor nicht künstlerisch tätigen Betroffenen auftreten kann.

Aufgrund von Betroffenenberichten sowie aufmerksamen Verhaltensbeobachtungen wurden zur Ursache des Zusammentreffens von Parkinson und Kreativität verschiedene Hypothesen formuliert. Anti-Parkinson-Medikamente, die den Neurotransmitter Dopamin enthalten, scheinen eine entscheidende Rolle zu spielen. Allerdings könnten diese Behandlungen die Funktionen der geschädigten Hirnareale auf ein «normales» Niveau bringen, aber gleichzeitig Funktionen anderer, intakter Hirnareale überaktivieren. Es ist davon auszugehen, dass dazu auch einige Hirnareale gehören, die für die Kreativität wichtig sind, und somit überaktiv sind, was zu einer Kreativitätssteigerung führt. Dopamin ist auch ein Akteur in den Schaltkreisen, wo es um Motivation, Belohnung, Freude und Ideenfindung geht, die alle Bezüge zur Kreativität haben. Die medikamentöse Therapie scheint hier also eine Schlüsselrolle zu spielen. Doch auch genetische Aspekte, die Umwelt, die Persönlichkeit, Veränderungen im Leben nach der Diagnose – die manchmal mit einer Priorisierung des inneren Gefühlszustandes und einer Abwendung von äusseren Problemen einhergehen – scheinen involviert zu sein.

Manchmal kann ein schmerzhafter Wandel von der Leidenschaft hin zur Sucht stattfinden. Wenn das Bedürfnis nach kreativem Schaffen immer da ist und überhandnimmt, bis es Betroffene von ihren beruflichen Verpflichtungen abhält und sie ihren Angehörigen entfremdet. Hingegen verschwindet die Kreativität bei einer Therapie mit Tiefer Hirnstimulation (THS) langsam, da die medikamentöse Behandlung mit den besprochenen Folgen nach einer THS reduziert werden kann. Neben diesen beiden Extremen gibt es jedoch auch sämtliche Zwischenstufen, bei denen die Kreativität meistens als erfreulich und angenehm empfunden wird. Eine regelmässige medizinische Beobachtung der motorischen und neuropsychologischen Symptome, insbesondere der Verhaltenssymptome, sowie ein offener Dialog zwischen betroffener Person und medizinischem Personal sind demnach unbedingt notwendig. Dies ermöglicht es, die besten Lösungen oder Kompromisse für das Wohl eines oder einer Betroffenen zu finden.
Sabina Catalano Chiuvé

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Sabina Catalano Chiuvé

Sabina Catalano Chiuvé ist Fachpsychologin für Neuropsychologie FSP am Universitätsspital Genf.

«Überraschend ist, dass sich künstlerische Kreativität bei bereits künstlerisch aktiven Betroffenen in einem Stilwechsel und einer erhöhten Produktivität zeigen kann, aber auch bei zuvor nicht künstlerisch tätigen Betroffenen auftreten kann.»

Kreativität als Kraftquelle

Im Fotowettbewerb «Kraftquellen» von 2020/2021 und auf der entsprechenden Webseite zeigt sich die Kreativität von Parkinsonbetroffenen in Bildern und Texten.

Kraftquellen

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